Real Talk: Als Kreativer hat man den Luxus, sich einen Arbeitsort nach den eigenen Bedürfnissen auszusuchen. Und das war bereits vor der Pandemie so - auch wenn die Digitalisierung in Deutschland eher im Schneckentempo vor sich hin kriecht, zeigt sich die Kreativbranche als Vorreiter und hat längst auf Flexibilität und Mobilität á la New Work umgesattelt. Nicht umsonst hat sich der Begriff des “digital creatives” eingebürgert. Wenn wir von Kreativen sprechen, sollen sich an dieser Stelle alle angesprochen fühlen, die kreativ schaffen und vor allem im Agenturkontext aktiv sind - also z.B. Designer, Copywriter oder Marketingexperten. Welcher Titel auch immer im CV steht: Ein besonders wichtiges Merkmal für die Szene ist die große Überlappung zwischen Kreativen und Digital Nomads. Kollaborationstools wie Slack oder Monday sorgen dafür, dass man praktisch von überall aus tätig sein kann - und diese Flexibilität ist Gold für kreatives Arbeiten.
Doch wer die Wahl hat, hat die Qual. ABCD Agency möchte euch ein wenig unter die Arme greifen und dabei helfen, den besten Arbeitsort zu finden. Wir haben hierfür 60 europäische Städte miteinander verglichen und geschaut, wo es für Kreative viel zu tun gibt und sich gut leben lässt. Dabei reichen uns nicht bloß oberflächliche Kategorien. Weder der Geldbeutel noch die Work-Life-Balance sollen zu kurz kommen. Neben Aspekten wie der Anzahl von Agenturen und freien Stellen haben wir auch das örtliche Nachtleben, Lebenshaltungskosten und die allgemeine Lebenszufriedenheit vor Ort unter die Lupe genommen.
“Kreative leben in einem sich rasant wandelnden, internationalen Teil der Arbeitswelt”, so Robin Wilfert, Gründer und Geschäftsführer bei ABCD Agency. “Das bringt neben Herausforderungen auch die Freiheit mit, an den unterschiedlichsten Orten zu arbeiten. Mit unserer Studie wollen wir genau diesen Aspekt betonen und zeigen, wie bunt und international die Branche ist.”
Hier findet ihr eine Übersicht über das Ranking.
Der absolute Sieger ist Manchester
Unangefochten auf Platz 1 findet sich Manchester, UK. Hier stimmt die gesamte Mischung über alle Kategorien hinweg. Es gibt eine ausreichende Bandbreite an ansässigen Agenturen. Für die Absolventen und Juniors unter euch bietet sich Manchester genauso an wie für Seniors. Gutes Gehalt gibt es dazu on top, mit dem sich sowohl moderne Co-Working Spaces, Caféaufenthalte oder ein entspanntes Nachtleben finanzieren lassen. Das Durchschnittsgehalt eines Marketing Managers liegt dabei bei 54,600 € pro Jahr. Als Kreativer ist man hier definitiv niemals auf sich allein gestellt, sondern hat gute Karten, sich ein nachhaltiges Netzwerk aufbauen zu können. Einziger Wermutstropfen: Kinoliebhaber haben in Manchester wenig Auswahl.
London nur auf den ersten Blick weit vorne Eigentlich könnte man meinen, London müsse auf Platz 1 liegen. Die Stadt mit den meisten Jobs, Co-Working Spaces, Bars, Nachtclubs und Kinos verfügt über eine sehr gute Lebenszufriedenheit. Das Gehalt liegt zwar vergleichsweise auch weit oben, aber das macht die horrenden Mieten in der britischen Hauptstadt trotzdem nicht attraktiver. Die sind im Schnitt nämlich fast doppelt so hoch wie in Manchester. Und: Ein ausschweifendes Angebot fürs Nachtleben nützt einem alles nichts, wenn es nicht bezahlbar ist. Laut einer Studie von JewelleryBox aus dem Jahre 2021 ist eine Partynacht in London deutlich teurer als im Rest des Landes.
Kreative in Prag genießen ein erschwingliches Nachtleben
Für die Partylöwen ist die ganz klare Empfehlung daher Prag. Im Gesamtvergleich liegt die tschechische Hauptstadt auf Platz zwei und bietet euch über 600 Bars und Nachtclubs zur Auswahl an. Und wo man am Wochenende in manchen Londoner Clubs über 20 Euro Eintritt bezahlt, kann man in Prag eher mit 8-10 Euro rechnen. So hat man in dieser Stadt die besten Karten, ein wildes Nachtleben zu genießen. Egal ob Electro, Techno oder Hip Hop, jeder kommt hier auf seinen Geschmack. Wer bei Prag also nur an Art Nouveau denkt, hat weit gefehlt. Ein weiterer Bonuspunkt: Wer bei einem namhaften Arbeitgeber arbeiten will, hat hier im Vergleich die besten Karten. Ganze 9 Top-Unternehmen aus der Branche sind hier ansässig.
Paris als Tipp für alle Cinephilen unter den Kreativen
Die “Stadt der Liebe” hat noch einen weiteren, weniger bekannten Titel: Sie wird auch als Kinohauptstadt der Welt bezeichnet. Zahlenmäßig unterscheidet sich die Stadt nicht großartig von London, aber sie hat einen entscheidenden Vorteil: Der Preis. Im Schnitt zahlt man für 2 Tickets 8 Euro weniger als in der englischen Hauptstadt. Als Bonus für alle Kinofans kann man in Paris auch noch Geschichte genießen. 1895 fand dort die weltweit erste Filmvorführung statt, und Paris’ ältestes Kino, Cinéma du Panthéon, ist seit 1907 in Betrieb.
Düsseldorf im deutschen Vergleich ganz vorne
Die beste deutsche Stadt für kreative Köpfe ist Düsseldorf, auch wenn der ein oder andere vielleicht mit Berlin gerechnet hätte. Die Stadt am Rhein beherbergt neben der längsten Theke der Welt, dem Düsseldorfer Karneval und Little Tokyo auch viele Co-Working Spaces, Bars, Clubs und Agenturen. Wer anstelle von “Düsseldorf Helau” lieber “Kölle Alaaf” sagen möchte, findet fast gleiche Voraussetzungen in der Konkurrenzstadt Köln. Berlin hat zwar die meisten Co-Working Spaces unter den deutschen Städten, liegt insgesamt aber hinter Düsseldorf und Köln.
(Nicht-)Europäischer Geheimtipp: Tel Aviv
Als besonderes Easter Egg landet auf Platz 22 Tel Aviv. Die israelische Stadt wird gerne als Finanz- und Kreativzentrum des Landes bezeichnet. Auch wenn es keine europäische Stadt ist, liegt Tel Aviv im europäischen Einzugsgebiet. Von Berlin aus ist die Stadt am Mittelmeer mit dem Flugzeug in gut vier Stunden zu erreichen. Ein Abstecher lohnt sich, um sich von der Start-Up Atmosphäre inspirieren zu lassen. Seit einigen Jahren bietet Israel nämlich ein besonderes Visum für internationale Entrepreneurs an - ein perfekter Ort also, um sich kreativ auszutoben und an vielen spannenden Projekten mitzuwirken.
Schweiz und Niederlande: Top 5 unter den Gehältern
Geht man nur nach dem Bruttogehalt, belegen die Top 3 in Sachen Gehalt die schweizer Städte Basel, Zürich und Genf. Hier verdient ein Marketing Manager pro Jahr im Schnitt zwischen 105.000 und 115.000 Euro. Allerdings sind die Lebenshaltungskosten in der Schweiz auch um circa 20-30% höher als z.B. bei den deutschen Nachbarn. Für Basler Kreative bietet es sich zum Beispiel an, zum Einkaufen nach Deutschland zu fahren, um Kosten zu sparen. Alternativ lohnt sich ein Blick in die Niederlande. Die Stadt Rotterdam bietet zwar vergleichsweise wenig in Sachen Nightlife, und auch Co-Working Spaces und offene Stellen sind eher rar. In Punkto Gehalt liegt sie aber mit durchschnittlich 75.200 Euro auf Platz 4, bei deutlich moderateren Lebenshaltungskosten als der Schweiz. Wer also wenig Wert auf ausschweifende Partys legt, kommt hier auf seine Kosten.
Die günstigste Miete findet ihr in Bucharest
Wer besonders wenig Miete bezahlen möchte, der zieht am besten nach Bucharest. Dort lässt es sich für 440 Euro gut wohnen, und sowohl in Sachen Nightlife als auch Jobangeboten hat die Stadt durchaus etwas zu bieten. Nachteil? Man verdient dort im Schnitt nur umgerechnet 17,800 Euro pro Jahr. Da das durchschnittliche Jahresgehalt in Rumänien aber bei knapp 16,300 Euro liegt und die Lebenshaltungskosten niedrig sind, wird der eigene Lebensstandard darunter vermutlich nicht leiden.
Tallinn als internationales Schlusslicht Tallinn hat im Vergleich zu anderen Städten für Kreative wenig zu bieten. Es gibt kaum Stellen, wenig Bars, Clubs und Kinos, und mit 27,600 Euro pro Jahr liegt das Gehalt tatsächlich sogar unter dem estnischen Durchschnitt. Insgesamt schneidet das Baltikum nicht gut ab: Vilnius und Riga ranken zwar höher als Tallinn, landen aber auch auf den hinteren Plätzen.
Methodik: So hat ABCD Agency das Ranking vorgenommen
Um herauszufinden, welche europäischen Städte am besten für Kreative sind, wurden für 60 Städte 11 Einflussfaktoren in den Untersuchungsfeldern “Creative Scene”, “Jobs & Gehalt”, “Nightlife” und “Leben” untersucht. Für das Städteranking wurden die größten Städte innerhalb der EU, der Schweiz, Norwegen und den UK genommen. Die Liste wurde um einige handverlesene Städte wie z.B. Luxemburg erweitert. So wurde gewährleistet, dass auch kleinere Städte, die für die Branche wichtig sind, abgebildet werden. Zudem wurde Tel Aviv inkludiert, da die Stadt im europäischen Einflussgebiet liegt und sehr attraktiv für Kreative ist. Alle hier beschriebenen Einflussfaktoren wurden hinsichtlich ihrer Relevanz für den typischen Kreativ-Lifestyle gewählt. Die Studie wurde im April 2023 durchgeführt.
Untersuchungsfelder, Einflussfaktoren und Quellen
Untersuchungsfeld 1: “Creative Scene”
(Kreativ-)Agenturen: Die Branche ist sehr bunt. Wir haben uns exemplarisch bei LinkedIn die “Advertising Services”, “Marketing Services” und “Public Relations & Communications Services” angesehen. Diese Bereiche sind heterogen aufgestellt und somit gut geeignet, um die verschiedenen Facetten der Branche abzubilden.
Top Corporates: Anzahl der führenden Werbeagenturen, die innerhalb einer Stadt vertreten sind. Definiert wurden diese Firmen durch: Top 10 ad agencies leading the advertising industry in 2022
Co-Working Spaces: Anzahl an Co-Working Spaces auf 100.000 Einwohner gesehen. Als digitale Nomaden mit maximaler Freiheit bei der Ortswahl wird es für Kreative immer beliebter, sich in Co-Working Spaces einzuquartieren. So erhält man eine professionelle Arbeitsatmosphäre und bleibt gleichzeitig bei der Wahl des Arbeitsortes flexibel. Quelle: https://www.coworker.com/
Untersuchungsfeld 2: “Jobs & Gehalt”
Einstiegspositionen: Dieser Wert gibt an, wie viele offene Einstiegspositionen ohne Berufserfahrung es in einer bestimmten Stadt gibt, gesehen auf 100.000 Einwohner. Als Beispiel wurde der Beruf des Marketing Managers genommen. Quelle: www.linkedin.de
Höhere Positionen: Hier wurde nach Stellenausschreibungen für "Marketing Manager" mit dem Filter "Mit Erfahrung" für die jeweilige Stadt gesucht. Die Zahlen beziehen sich auf 100.000 Einwohner. Quelle: www.linkedin.de
Gehalt: Guter Verdienst sorgt für attraktive Stellen. Als Beispiel wurden die Daten für den Beruf des Marketing Managers erhoben. Für den deutschen Raum stammen die Daten von Stepstone, für alle anderen Länder Glassdoor.
Untersuchungsfeld 3: “Nightlife”
Bars, Nachtclubs & Kinos: Kreative lieben ihr After-Work-Life. Selbstverständlich bestehen Freizeitaktivitäten nicht nur aus Bars, Nachtclubs und Kinos. Diese Kategorien sind repräsentativ für alle Freizeitangebote, die eine Stadt zu bieten hat, und wurden gewählt, da sie den typischen Kreativ-Lifestyle am besten abbilden. Die Daten wurden mit Tripadvisor erhoben und beziehen sich auf 100.000 Einwohner.
Untersuchungsfeld 4: “Leben”
Miete: Großstädte wie Berlin, London oder Genf sorgen immer wieder für Negativschlagzeilen durch horrenden Mietpreise. Dabei gehört ein Dach über dem Kopf nicht zu den Luxusgütern, sondern sollte zu den “bare minimums” zählen. Als Referenzwert wurde für diese Studie die durchschnittliche Miete pro Stadt für ein Ein-Zimmer-Apartment in zentrumsnaher Lage verwendet (Quelle: Prices by City of Apartment (1 bedroom) in City Centre (Rent Per Month)).
Niveau der Lebenshaltungskosten: Je niedriger, desto besser - dann bleibt mehr vom Gehalt übrig, das man zur eigenen Lebensgestaltung nutzen kann. Numbeo vergibt hierzu einen Score. Um die Kategorie möglichst leicht interpretierbar zu machen, haben wir uns am Numbeo-Score orientiert und die Label “niedrig”, “moderat” und “hoch” vergeben.
Lebenszufriedenheit: Der World Happiness Report wird seit 2012 von den Vereinten Nationen herausgebracht. Er ist ein Indikator dafür, wie hoch die Lebenszufriedenheit in einzelnen Ländern und Städten ist. U.a. werden hierzu gesunde Lebenserwartung, Freiheit der Lebensentscheidungen und das Bruttoinlandsprodukt als Faktoren erhoben. Für Städte in dieser Studie, für die kein einzelner Wert existiert hat, wurde der Landeswert genommen. Das Ranking geht von 0 bis 10. Auch hier haben wir mit Labels gearbeitet und für die Bereiche 7-10 die Label “sehr gut” vergeben, für 4-6 “gut”. Unsere Studie beinhaltete keine Stadt, deren Wert unter “gut” lag.
Berechnung und Scoring
Um eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Städten zu garantieren, wurden die jeweils erhobenen Daten standardisiert für einige der Kategorien auf 100.000 Einwohner heruntergerechnet. Innerhalb jeder Kategorie wurden Punkte zwischen 0 und 100 vergeben. Die daraus entstandenen Werte wurden anschließend über alle Kategorien hinweg für jede Stadt zu einem Wert summiert. Dieser finale Summenwert wurde noch einmal nach demselben Scoring-Prinzip gewichtet. Die Stadt mit dem höchsten Wert innerhalb einer Kategorie erhielt einen Score von 100, mit dem niedrigsten Wert ein Score von 0. So konnte ein Ranking erstellt werden, das abbildet, wie gut eine Stadt über alle Kategorien hinweg abgeschnitten hat.
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